für Ärzte

Klinik

Die Narkolepsie ist mit einer Prävalenz von bis zu 0.1% etwa so häufig wie z.B. die Multiple Sklerose. Eine familiäre Häufung wird in 10-50% gefunden. Im Vordergrund der Beschwerden stehen bei praktisch allen Narkoleptikern die exzessive Tagesschläfrigkeit mit teilweise plötzlich auftretenden Attacken eines unwiderstehlichen Schlafbedürfnisses und/oder mit automatischen Handlungen im Halbschlaf [27]. Daneben finden sich unterschiedlich häufig kataplektische Lähmungen, hypnagoge Halluzinationen und Schlaflähmungen. Polysomnographisch liess sich während dieser 3 Zustände ein REM-Schlaf (paradoxer Schlaf) ähnlicher Befund erheben, weshalb sie auch als "REM-Phänomene" zusammengefasst werden. Sehr häufig tritt eine Durchschlafstörung auf, praktisch nie eine Einschlafstörung und besonders Jugendliche Narkolepsie-Patienten beklagen ein erschwertes Erwachen.
Die ersten Symptome bei der Narkolepsie treten gewöhnlich im Alter von 15-25 Jahren auf und persistieren z.T. lebenslänglich. Häufig bestehen während vieler Jahre nur die Schlafanfälle. Das Vollbild entwickelt sich dann gewöhnlich innert 1-3 Jahren, in Einzelfällen tritt aber das diagnostisch entscheidende Symptom der kataplektischen Attacken erst Jahrzehnte später auf. Das Auftreten von hypnagogen Halluzinationen ist zeitlich meist nicht exakt dokumentierbar. Das gleichzeitige Vorkommen aller 4 Symptome ist eher selten (ca. 15%). Die meisten Patienten leiden aber unter mehreren Symptomen. Monosymptomatisch sich manifestierende Kataplexien sind sehr selten. Schlaflähmungen oder Hypnagoge Halluzinationen können isoliert oder familiär gehäuft auch bei Gesunden auftreten und haben als solche meistens keinen Krankheitswert. Im Krankheitsverlauf der Narkolepsie bleibt eine gewisse Tagesschläfrigkeit dauernd bestehen, während die kataplektischen Attacken im Alter eher seltener werden. Die hypnagogen Halluzinationen und die Schlaflähmungen treten gewöhnlich ebenfalls nur während einer begrenzten Anzahl Jahre auf.

Tabelle 1 Hauptsymptome der Narkolepsie

A. Vigilanzstörungen
Schlafattacke:
Physiologischer NREM-oder REM-Schlaf, der anfallsweise zu Unzeiten auftritt.
- Augenbrennen, Gähnen, Ohrensausen, Doppelbilder
- imperativ, jederzeit weckbar, dauert wenige Minuten, erholsam
- z.T. in schlaffördernden Situationen, z.T. willentlich beeinflussbar
- gefördert durch passive monotone Situationen sowie Schlafmangel und Alkohol,
- einmal bis hunderte pro Tag.

Hypovigilanter Dämmerzustand (Automatische Handlungen):
Fehlhandlungen, die im Halbschlaf ausgeführt werden.
- Auftreten bei monotonen Tätigkeiten (Autofahren, Schreiben)
- Keine Erinnerung an die Episode (Amnesie)

B. "REM-Schlaf-Phänomene"
Kataplexie:
Plötzlicher, meistens beidseitiger Kraftverlust, bei vollem Bewusstsein, ausgelöst durch eine unerwartete Gemütsbewegung (Emotion) wie z.B. lachen oder Ärger
- Spezifischer Affekt: "triumphierende Freude", Verlegenheit, Angst, Ärger, Erschrecken etc.
- partiell (v.a. Gesicht, Kopf, Knie) oder generalisiert, meist beidseitiger Tonusverlust
- Muskelzuckungen, kurze Atempause möglich
- keine Bewusstlosigkeit, keine Amnesie, ausser bei direktem Übergang in Schlaf
- Dauer der Lähmung ca. 5-30 Sekunden.
- Nach dem «Anfall» völliges Wohlbefinden
- Wenige Male im Leben bis 100-te pro Tag.

Schlaflähmung (Schlafparalyse):
Generalisierte Lähmungszustände, die der Patient bei vollem Bewusstsein erlebt.
- Lähmungs-Zustand mit teilweise angstbetonten Halluzinationen.
- meist beim Erwachen, seltener beim Einschlafen
- durch äussere Stimuli zu unterbrechen
- Dauer 1-10 Minuten
- Bewusstsein variabel
- Meist 1-2 Mal pro Woche
- selten bei Gesunden, familiäres Vorkommen

Hypnagoge oder hypnopompe Halluzinationen:
Im Zusammenhang mit Schläfrigkeit auftretende Sinnestäuschungen
- Realitätsnahe Halluzinationen, ev. mit starker Angst
- meist beim Einschlafen, bei Schläfrigkeit
- Dauer wenige Minuten
- Bewusstsein variabel
- Praktisch täglich

C. Schlafstörungen
- Verkürzte Einschlaflatenz mit REM-Schlaf (Sleep onset REM)
- Nächtliches Erwachen (aber praktisch nie Einschlaf-Insomnie)
- Periodische Beinbewegungen im Schlaf (PLMS)
- Alpträume, REM-Schlaf-Verhaltensstörung, Schlafwandeln
- kombiniert mit Schlaf-Apnoe-Syndrom (bis 10%)

D. Hypersomnie
- Verlängerter Schlafbedarf (extended need for sleep, ENS) mit erschwertem Erwachen

Die narkoleptische Einschlafattacke ist ein unwiderstehlich und imperativ auftretender, an sich physiologischer Schlaf, welcher zu Unzeiten auftritt. Auslösend wirken passive Situationen, in denen auch Gesunde eine gewisse Schläfrigkeit verspüren, z.B. beim längeren Sitzen, nach dem Essen, oder bei monotonen Geräuschen wie z.B. beim Zugfahren. In schwereren Fällen tritt der Schlaf aber auch in aktiven Situationen wie z.B. beim Essen, während eines Telefongesprächs, bei der Arbeit, oder während einer Autofahrt auf, was schwerwiegende Folgen haben kann. Meist bemerkt der Patient eine zunehmende Schläfrigkeit und ist dann noch in der Lage die momentane Tätigkeit geordnet zu unterbrechen und abzuliegen. Selten treten die Attacken aber auch relativ plötzlich auf. Gewisse Kranke berichten prodromal über ein Brennen in den Augen, Mundtrockenheit, Schwere der Extremitäten, Parästhesien, Doppelbilder oder Ptose. Der Patient kann sich willentlich eine gewisse Zeit gegen das Einschlafen wehren und ist während der Schlafattacke leicht weckbar. Nach dem Erwachen fühlen sich die Narkoleptiker ausgeruht oder sogar erfrischt, dies im Gegensatz zu Patienten mit Schlaf-Apnoe oder Epilepsie, welche sich nach einer Schlafattacke resp. postiktal abgeschlagen und müde fühlen. Eine verstärkte Schläfrigkeit im Intervall zwischen den eigentlichen Einschlafattacken und ein verlängerter Schlafbedarf über 24 Stunden (= Hypersomnie) mit erschwertem Erwachen ist typisch für die idiopathischen Hypersomnien, kommt aber auch bei Narkolepsie vor, besonders bei einer Erkrankung während der Adoleszenz.

Wenn sich der Patient gegen das Einschlafen wehrt, kann daraus ein hypovigilanter Dämmerzustand entstehen. Dabei führen die Betroffenen im "Halbschlaf" bei verminderter Kritikfähigkeit automatische Fehlhandlungen aus. Im Gegensatz zu den Patienten mit einer amnestischen Episode sind die Patienten mit Narkolepsie dabei jederzeit "weckbar".

Die Ursachen von Schläfrigkeit, verlängertem Schlafbedarf (= Hypersomnie), Müdigkeit oder gar körperlicher Erschöpfbarkeit sind sehr vielfältig und es ist die wichtige Aufgabe des Arztes so gut wie möglich zwischen diesen Beschwerden zu differenzieren [29].

Die kataplektische Attacke, auch affektiver Tonusverlust genannt, wird aus dem Wachzustand heraus durch eine überraschende emotionale Erregung ausgelöst und äussert sich in einer plötzlichen Lähmung der Skelettmuskulatur. Die Attacken manifestieren sich meist bilateral, häufig auch partiell und betreffen dann v.a. bulbäre Muskeln. Es kommt zum Herunterfallen des Kopfes, zu einer Ptose oder zu Doppelbildern. Auch leichtes Einknicken in den Knien, fallenlassen von Gegenständen aus den Händen, Innehalten im Sprechen oder sogar kurze Atemstillständen sind möglich. Im Falle einer generalisierten Hypotonie sacken die Patienten meist langsam zu Boden, wobei gewisse Auffangbewegungen noch möglich und Verletzungen selten sind. Dabei bleibt das Bewusstsein erhalten und willkürliche Augenbewegungen sind möglich. Gelegentlich ist der Muskeltonus nicht konstant herabgesetzt, sondern es besteht eine Adynamie bzw. ein kurzer akinetischer Zustand bei erhaltenem Tonus. Selten ist der Muskeltonus wechselnd, wobei zuckende periorale Bewegungen wie im REM-Schlaf oder milde Myoklonien der Extremitäten beobachtet werden, welche mit epileptischen Manifestationen verwechselt werden könnten. Die auslösende emotionelle Regung beinhaltet oft eine "triumphierende Freude". Kataplektische Attacken treten oft beim Lachen aber auch beim Sport während einer erfolgversprechenden Aktion auf oder anlässlich einer freudigen oder ärgerlichen Erregung, selten auch beim Husten, Niesen, Nase- Schneuzen oder bei sexueller Aktivität. Die Bewegungsunfähigkeit dauert meist 5-30 Sekunden, selten mehrere Minuten und ist dann plötzlich beendet, worauf der Patient absolut realitätsgerecht ohne jegliche Amnesiezeichen erzählt, was während des Anfalles um ihn herum geschehen ist. Übergangsformen zur Schlaflähmung oder zur Einschlafattacke mit variablem Wachheitsgrad kommen jedoch vor. Die Häufigkeit kataplektischer Attacken variiert zwischen 100 pro Tag bis nur wenigen im Leben. Interessante Einzelbeschreibungen eines Status kataplecticus oder von unilateralen kataplektischen Attacken sind bekannt. Besonders häufig treten die Kataplexien bei vorbestehender Schläfrigkeit in vertrauter Umgebung im Rahmen der Familie auf.

Die Schlaflähmung ist ein Lähmungszustand, den der Patient in wachem Zustand erlebt. Sie dauert meist etwas länger als die kataplektische Attacke nämlich etwa 1-10 Minuten und tritt nur beim Einschlafen oder beim Erwachen auf. Typischerweise kann der Patient aus einer Schlaflähmung durch externe Stimuli, wie Anrufen oder Anfassen, erlöst werden. In der Regel berichten die Patienten über 2-3 Attacken pro Monat, seltener treten sie aber auch jede Nacht und besonders häufig während der Power Naps tagsüber auf. Charakteristischerweise sind die Attacken begleitet von starker Angst, welche auch dann nicht vollständig verschwindet, wenn der Patient sich über die Art der Erscheinung im Klaren ist. Schlaflähmungen kommen auch ausserhalb des Narkolepsie-Kataplexie-Syndroms als isoliertes Symptom bei Gesunden vor und sind dann nicht selten familiär gehäuft.

Hypnagoge Halluzinationen oder Wachträume sind mit Schläfrigkeit verbundene Sinnestäuschungen von wenigen Minuten Dauer. Es handelt sich oft um äusserst lebhafte sensorische, meist visuelle Empfindungen, welche beim Einschlafen oder seltener beim Erwachen (hypnopompe Halluzinationen) und am Tag auftreten. Besonders häufig halluzinieren die Betroffenen eine fremde Person im Schlafzimmer (Anwesenheitsgefühl) und fürchten dann wegen des realen Charakters der "Träume" das Einschlafen. Die Halluzinationen treten gehäuft auch im Zusammenhang mit Schlaflähmungen oder bei kataplektischen Attacken auf. Isolierte Hypnagoge Halluzinationen sind aber auch bei gesunden Personen nicht selten und haben somit keinen Krankheitswert.

Über eine Schlaflosigkeit im Sinne der Durchschlafstörung klagen etwa die Hälfte der Narkoleptiker, hauptsächlich im späteren Verlauf der Erkrankung und einige betrachten die Durchschlaf-Insomnie sogar als ihr Hauptübel oder interpretieren diese fälschlicherweise als Ursache der Tagesschläfrigkeit. Eine Einschlafinsomnie sollte stets Zweifel an einer (alleinigen) Narkolepsie Diagnose wecken. Der Nachtschlaf wird auch gestört durch die oben aufgeführten hypnagogen Halluzinationen, Schlaflähmungen, häufigem Erwachen, oder durch Angst- oder gar Horrorträume, aber auch durch eine abnorme motorische Unruhe z.B. in Form der REM-Schlaf-Verhaltensstörung (Ausleben der Träume mit Schreien und um sich schlagen) oder periodischen Bewegungen im Schlaf (PLMS), oder - nicht so selten - durch ein gleichzeitig vorhandenes Schlaf-Apnoe-Syndrom. Eine Durchschlafstörung tritt aber häufig auch ohne erkennbare Ursache auf, was aber nicht als Ursache der Tagesschläfrigkeit gedeutet werden darf.
Beim Aufwachen am Morgen fühlen sich die Narkolepsie-Patienten in der Regel ausgeruht, im Gegensatz zu den Patienten mit einer Idiopathischen Hypersomnie, welche meistens unter einem erschwerten Erwachen leiden und oft den Wecker gar nicht hören. Ein erschwertes Erwachen mit einem verlängerten Schlafbedarf pro 24 Stunden, eine sog. Hypersomnie kann aber seltener auch bei Patienten mit Narkolepsie beobachtet werden, besonders, wenn die Krankheit in der Kindheit oder Adoleszenz beginnt.

Eine leichte Adipositas ist bei Narkoleptikern häufig anzutreffen, was vermutlich mit dem gestörten Sättigungsgefühl wegen dem Hypokretinmangel erklärt ist. Übergewichtige Adoleszente mit Narkolepsie erleben öfters eine frühzeitige Pubertät.

Manchmal klagen Narkoleptiker über Kopfschmerzen vom Typ des Katerkopfschmerzes, über Sehstörungen wegen einer vigilanzabhängigen Fusionsschwäche, über autonome Störungen wie Mundtrockenheit, Bradykardie, Hypotension und oft eine Tendenz zu allergischen Reaktionen. Libidoverlust und Impotenz bestehen bei etwa einem Viertel der Patienten mit Narkolepsie. Psychische Auffälligkeiten sind häufig. Die Affektarmut ist als Abwehrstrategie gegen die affektiv ausgelösten Symptome zu interpretieren. Sekundäre neurotische Entwicklungen oder Depressionen entstehen durch den ewigen Kampf gegen das Einschlafen am Tag und den gestörten Nachtschlaf, aber auch bedingt durch das häufig fehlende Verständnis von Seiten der Angehörigen und wegen schwerwiegenden Problemen am Arbeitsplatz. Gewisse Autoren sprechen geradezu von einer "narkoleptischen Wesensänderung" [20].

Besonderheiten bei Kindern und Jugendlichen mit Narkolepsie
Weil die Narkolepsie besonders häufig bereits vor oder während der Pubertät beginnt, sollten diese jungen Patienten wegen der multifaktoriellen Probleme dieses Alters, besonders engmaschig betreut werden, am besten durch einen schlafmedizinisch erfahrenen Kinder-Neurologen oder pädiatrischen Schlafmediziner. Entsprechende Adressen können bei der SNaG in Erfahrung gebracht werden. Bei der Transition in die Erwachsenen Medizin sollte auch keine Lücke in der Betreuung auftreten, was zwischen dem Neuropädiater und dem Neurologen eine engmaschige Absprache bedingt [12].
Wenn die Narkolepsie im Kindesalter beginnt, sollten folgende Besonderheiten beachtet werden:
- Bei Kindern äussert sich die Tagesschläfrigkeit oft in einem hyperkinetischen Verhalten, was leicht mit ADHS verwechselt werden kann.
- oft besteht eine Hypersomnie, mit verlängerter Schlafdauer und erschwertem Erwachen im Vergleich zur Periode vor dem Krankheitsbeginn. Das protrahierte Erwachen am Morgen sollte nicht mit pubertärem Verhalten verwechselt werden, welches in der Regel mit verspäteten Bettgehzeiten kombiniert ist.
- Die Kataplexien zeigen sich oft als Grimassieren im Gesicht oder als dyskinetische Bewegungen der Zunge.
- Wenn narkoleptische Symptome mit pubertären Verhaltensstörungen überlappen, sollte man besonders aufpassen, die Diagnose einer Narkolepsie aber auch einer komorbiden Depression bzw. einer Anpassungsstörung nicht zu verpassen.