für Ärzte

Diagnose und Differentialdiagnose

Die Diagnose der Narkolepsie stützt sich in erster Linie auf die exakte Anamnese, welche stets in Gegenwart des Lebenspartners durchgeführt werden sollte. Nur dieser ist in der Lage über die nächtlichen Symptome des Patienten verlässliche Angaben zu machen. Die Angehörigen sollten aber auch direkt vom Arzt über die organische Natur der Erkrankung mit ihren willentlich nicht beeinflussbaren Symptomen informiert werden.
Wenn typische kataplektische Attacken vorhanden sind, ist es meist einfach die Diagnose zu stellen, und Zusatzuntersuchungen sind dann selten nötig. Schwächeanfälle in den Gesichtsmuskeln oder der Kopfhaltemuskulatur in den ersten Sekunden der Emotion sind eher spezifisch für eine Narkolepsie, währenddem eine Schwäche in den Knien nach längerem herzhaftem Lachen auch bei gesunden Personen auftreten kann. Kinder und Jugendliche zeigen teilweise hyperkinetische Bewegungen im Gesicht oder in der Zunge, was dann oft nicht als Kataplexie verstanden wird.
Differentialdiagnostisch gilt es an epileptische und an einige nicht-epileptische Anfallsarten zu denken [16]. Die Muskelschwäche bei der Myasthenie kann einmal unerwartet rasch auftreten, ist jedoch durch Tensilon zu beheben. Die tonischen Hirnstammanfälle sind meist unilateral und begleitet von Schmerzen und Parästhesien. [9]. Bei älteren Personen denke man auch an "Drop attacks" wegen vertebro-basilärer Insuffizienz oder an atonische Attacken bei Hydrozephalus und Frontalhirnläsionen sowie bei älteren Frauen an die idiopathischen Sturzattacken. Bei der Abgrenzung epileptischer Phänomene gilt es zu berücksichtigen, dass auch bei der Kataplexie periorale Zuckungen oder sogar leichte Zuckungen der Extremitäten auftreten können. Funktionell bedingte Schwächeattacken sind manchmal besonders schwierig abzugrenzen.

Solange kataplektische Attacken (noch) fehlen und eine übermässige Tagesschläfrigkeit dominiert, müssen die differentialdiagnostischen Erwägungen weit gefasst werden. Ätiologisch (Tabelle 2) muss hauptsächlich ein Schlafmanko sowie ein Medikamenten- oder Drogenabusus ausgeschlossen werden, wobei auch ein langjähriger Gebrauch von Stimulantien in Frage kommt. Viele der häufig gebrauchten Medikamente (Antidepressiva, Dopaminergika, Opiate, Betablocker, Antibiotika) können indirekt zu Tagesschläfrigkeit führen, oder auch indirekt durch eine Beeinträchtigung des Nachtschlafes. Bei Verdacht auf ein Schlaf-Apnoe Syndrom wird entweder eine respiratorische Polygraphie oder meistens gleich eine Polysomnographie durchgeführt [30]. Diese aufwändige Untersuchung, bei der während einer ganzen Nacht kontinuierlich das EEG, die Atmung, die Sauerstoffsättigung perkutan, die Augenbewegungen und die Aktivität verschiedener Muskeln registriert wird, ist ebenfalls indiziert bei Anhaltspunkten für nächtliche epileptische Anfälle oder periodische Bewegungen im Schlaf (PLMS). Bei Anhaltspunkten für neurologische oder neuropsycho-logische Defizite sind neuroradiologische Abklärungen und Laboruntersuchungen von Blut und Liquor angezeigt. Ergeben diese Zusatzuntersuchungen keine Hinweise auf eine Enzephalopathie bleibt als Ausschlussdiagnose die idiopathische Hypersomnie oder eine Müdigkeit bzw. Schläfrigkeit nichtorganischer Ursache, was ohne genaue Kenntnisse der spezifischen psychiatrischen Ursache als Nichtorganische Hypersomnie (NOH) bezeichnet werden kann.

 

Tabelle 2 Differentialdiagnose der «Hypersomnolenz» (nach [3])

Verdacht auf:                                       > Suche nach:

A. Schlafmangelsyndrom                     > Effekt der verlängerten Schlafdauer

B. Nichtorganische Hypersomnie         > Müdigkeit, Ein- und Durchlafstörungen
bei Depression / Angstkrankheit           > Grübelsucht, teilremittierte Depression

C. Symptomatische Hypersomnolenz
   - Medikamentenabusus                     > Sedativa, Stimulantien abends
…- Internistisch/                                 > Hypothyreose, Anämie, chronische Krankheit
… Neurologisch                                  > Parkinson, Multiple Sklerose
   - Schlaf-Apnoe-Syndrom                  > Schnarchen mit Aussetzern
   - Parasomnien                                   > Periodische Bewegungen im Schlaf (PLMS)
   - Enzephalopathie                             > Metabolisch, Toxisch, Hypoxisch, Traumatisch,
                                                                   Endokrin, Enzephalitis, Hirntumor, Epilepsie
   - Schlaf-Wach Rhythmus                  > Schichtarbeit, Jet lag

D. Narkolepsie Typ 1 oder Typ 2          > Kataplektische Attacken, andere REM Phänomene

E. Idiopathische Hypersomnie >          > tiefer Nachtschlaf, erschwertes Erwachen, familiär

F. Periodische Hypersomnie                 > in periodischen Abständen auftretende Schläfrigkeit,
(Kleine-Levin Syndrom)                      kombiniert mit vermehrtem Essen und Hypersexualität


Der Nachweis einer verkürzten mittleren Einschlaflatenz (< 8 Minuten) und mehrerer früh auftretender REM Perioden im Multiplen Schlaflatenz Test (MSLT) oder in der Polysomnographie wird gem. der aktuellsten internationalen Klassifikation der Schlafstörungen (ICSD-3-TR) [3, 4] zur Diagnose der Narkolepsie Typ 2 gefordert, ist aber nicht spezifisch für die Narkolepsie, sondern findet sich auch beim Schlaf-Apnoe Syndrom, bei der Depression, bei Anorexia mentalis und sogar beim Gesunden nach Schlafentzug. Diese Untersuchung eignet sich nur bedingt um eine "monosymptomatische Narkolepsie" von den anderen Ursachen einer Hypersomnolenz abzugrenzen. Die elektroenzephalographische Objektivierung einer Tagesschläfrigkeit [10] ist indiziert bei Narkoleptikern, welche dissimulieren, um den Fahrausweis nicht zu verlieren oder bei Drogenabhängigen, welche auf diese Weise versuchen, Amphetaminpräparate zu erhalten. Eine einfache Methode, um sowohl den gestörten Nacht-Schlaf wie auch längerdauernde Schlafattacken am Tag unter den gewohnten Lebensbedingungen zu erfassen stellt die Langzeitregistrierung der Bewegungsaktivität mittels eines am Handgelenk getragenen Akzelerometers dar [7]. Die Methode eignet sich dank der Einfachheit insbesondere gut für eine Verlaufskontrolle unter Therapie. Die HLA-Typisierung und vor allem die Hypokretinbestimmung im Liquor ist besonders hilfreich, wenn die kataplektische Natur von rezidivierenden Stürzen nicht gesichert ist, aber viel weniger bei isolierter Tagesschläfrigkeit. Das Fehlen des HLA-Markers DQB1*0602 macht eine Narkolepsie-Kataplexie (Typ 1) sehr unwahrscheinlich, kann aber einen Typ 2 einer Narkolepsie nicht ausschliessen. Die hypnagogen Halluzinationen treten immer im Zusammenhang mit Schläfrigkeit und meist beim Einschlafen oder Erwachen auf, wodurch sie sich von ähnlichen Erscheinungen bei Psychosen und beim Delirium tremens unterscheiden.